Abendma(h)l drei

Liebe Alle,
bevor es losgeht meinen allerherzlichsten Dank für Euer tolles Feedback zu meinem Blog-Start. Ich kam mir vor wie eine Erstklässlerin bei der Einschulung – Ihr habt mir die schönsten Süßigkeiten in die Schultüte gesteckt!
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Als Menschen
betrachten wir uns nicht nur gerne als Krone der Schöpfung. Wir geben uns auch gerne der Vorstellung hin, dass wir uns über die Jahrhunderttausende kontinuierlich zur Perfektion hin entwickelt haben, als dessen Endprodukt (und Vervollkommnung) nun wir, die Menschen der Gegenwart, stehen. Dabei war die Entwicklung, und das gilt auch für die Kunst, immer ein Auf und Ab. Es gab Blütezeiten und Phasen, in denen man altes Wissen und Können wieder vergaß. Anders, als ein Kind, das erst nur kritzelt und sich durch viel Übung vielleicht zu einem Malergenie entwickelt, gab es außerdem zu allen Zeiten neben den großen Namen wie Dürer, Michelangelo, Rembrandt usw. auch zweit- und drittklassige Künstler.

Uns gefällt heute vielleicht die Schönheit, die gute Proportion und die Naturtreue eines Renaissance-Porträts, und im Vergleich erscheint uns manch frühmittelalterliches Bildnis recht rudimentär und ungeschickt. Wir sollten uns jedoch vor Augen führen, dass sich die Kriterien für gute Kunst immer wieder verändert haben und unser Maßstab ein anderer ist, als derjenige von vor 500 Jahren. Schauen wir uns dazu drei Varianten des letzten Abendmahls an (Vergrößerung durch Anklicken):

 
I. Vmtl. London, Seite eines Manuskrips (Detail), ca 9,5 x 12,5 cm, um 1250-70
II. Leonardo da Vinci, 422 x 904 cm,1494-98, Santa Maria delle Grazie/Mailand, Refektorium
III: Dirk Bouts, Mittelteil eines Altars, ca. 180 x 180 cm, 1464-67, Sient Pieter, Löwen

Wenn Ihr Euch die Maße der jeweiligen Bilder anschaut, werdet Ihr merken, dass ich Euch ein wenig aufs Glatteis geführt habe: Anders als hier angeordnet, sind sie von ganz unterschiedlicher Größe. Darüber hinaus seht Ihr, dass auch ihre Entstehungszeiten verschieden sind – wobei Leonardo und Bouts nur 30 Jahre auseinanderliegen. Und ganz unterschiedlich ist auch die Lösung, die die drei Maler gefunden haben, um das Thema darzustellen.


Zwölf auf einen Streich

Ich gebe zu: Es ist schon witzig, wie sich der Maler von Bild I darum herum gemogelt hat, alle 12 Apostel um den Tisch zu versammeln… Von den meisten sehen wir nur einen Teil des Hinterkopfs mit Heiligenschein (meine erste Assoziation war, dass sie Fußball gucken…). Aber wir müssen den Maler in Schutz nehmen: Er hatte sehr wenig Platz! Er musste das gesamte Personal auf einer 9,5 x 12,5 cm kleinen Fläche unterkriegen! Und nicht nur, das die Fläche beschränkt war – in einer illuminierten Handschrift standen die Bilder nicht im Vordergrund. Sie waren eine nette Abwechslung für das Auge und hatten einen gewissen Unterhaltungswert. Die Worte der Schrift waren aber viel wichtiger – und die Bilder sollten nicht zu sehr davon ablenken. Dafür hat der Maler die beste Lösung gefunden: er hat sich auf das Wesentliche konzentriert. Tiefenwirkung und Perspektive spielten zu seiner Zeit noch keine Rolle. Mit den drei Bögen, die die Szene nach oben abschließen, und den kleinen Gebäuderiegeln am oberen Rand des Bildes gibt er uns aber trotzdem zu verstehen, dass sich die Personen in einem Innenraum befinden. Die wiederum sehen alle recht gleich aus, inklusive der Haarfarbe (mit einer Ausnahme), dennoch ist Christus durch seine überragende Größe und den Kreuznimbus deutlich erkennbar. Das Wichtigste der Szene wird also erzählt. Was will man mehr?


Live dabei beim Abendmahl

Leonardo hatte es, was den Platz betraf, um einiges besser, als unser mittelalterlicher Maler. Um so mehr könnte man sich wundern, dass er, der als einer der ganz Großen der italienischen Renaissance Perspektive und Tiefenwirkung beherrschte (übrigens eine Wiederentdeckung aus der Antike, die zwischendurch in Vergessenheit geraten war) und die Personen so naturnah wiedergeben konnte, alle Personen – ganz unrealistisch – auf nur einer Seite der langen Tafel versammelt. Hat es da der Niederländer Bouts nicht dreissig Jahre vorher viel besser gemacht (auch wenn er die konstruierte Perspektive nicht beherrschte)? Schauen wir uns an, wo sich da Vincis Wandgemälde befindet:im Präfektorium, also im Speisesaal des Klosters. Wenn wir uns nun die damalige Situation vorstellen, bzw. in die Rolle eines Mönches versetzen, dann blicken wir über den realen Tisch vor uns unmittelbar auf den gemalten Tisch des letzten Abendmahls. Auch wenn die Malerei hoch über uns, über einer Tür, angebracht ist, verbinden sich hier Gegenwart und Vergangenheit zu einem Moment. Den Mönchen wurde also vor Augen geführt, dass die Bedeutung des damaligen Augenblicks (und der weiteren Geschehnisse: Passion und Auferstehung) auch in ihren Leben aktuell war. Da Leonardo außerdem den Moment darstellt, in dem Christus seinen Jüngern mitteilt, dass einer von ihnen ihn verraten wird, ist das Bild außerdem eine immer währende Mahnung an die Klosterbrüder. Hätte der Maler ein paar der Jünger auch an der vorderen Seite des Tisches platziert, würden wir auf ihre Rücken schauen. Damit wäre die Gruppe aber zu einer geschlossenen Gesellschaft geworden, und wir als Betrachter nicht so unmittelbar beteiligt.

Zu Tisch

Hat nun aber Bouts die Szene schlechter gelöst, weil er den Kreis der Apostel in seinem Bild schließt und zwei von ihnen uns den Rücken zuwenden? Auch hier müssen wir uns die Maße und den Standort des Bildes vor Augen führen: Als Mittelteil eines Altars konnte es in seiner Breite nicht so „episch“ werden, wie bei Leonardo. Sein Format ist fast quadratisch, womit die gesamte Szene mehr die Bildtiefe ausnutzen muss. Die Anordnung der Personen um den gesamten Tisch war hier zweckmäßiger. Der Altar ist in dem Bereich der Kirche aufgestellt, den während der Messfeier nur der Priester betritt. Anders als bei Leonardo ist in dieser Szene der Moment festgehalten, in dem Christus das Brot bricht und spricht „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ Es ist also der Augenblick, der während der Eucharistie durch den Priester wiederholt und ins Gedächtnis gerufen wird. Zur Zeit, als Bouts das Tafelbild malte (und noch lange danach), zelebrierte dieser die Messe noch mit dem Rücken zum Volk im Kirchenraum. Wenn wir nun das Bild noch einmal genauer anschauen, sehen wir, das Bouts zwischen den beiden Jüngern, die mit dem Rücken zu uns sitzen, also gegenüber von Christus, eine Lücke gelassen hat. Der Priester wird also in seiner Handlung zum Spiegelbild Christi. Gleichzeitig nehmen er, die beiden Jünger, aber auch die Gottesdienstbesucher (und wir als Betrachter) alle dieselbe Blickrichtung ein. Damit werden wir zum Teil des Geschehens.Hier wird also – nicht trotz, sondern gerade wegen der Rückenfiguren – eine Verbindung zwischen dem damaligen Geschehen und der Gegenwart geschaffen.

Ein Thema, drei Künstler, drei verschiedene Bildgattungen – drei Lösungen. Jede von ihnen für den jeweiligen Zweck genau richtig. Faszinierend, oder?

Im nächsten Blog (am 27. Januar) schauen wir Leonardo nochmal genauer auf die Finger… und zwei weiteren Genies ebenso.

(c) Manuskriptseite: Metropolitan Museum of Art, New York, Pulic domain
(c) Abendmahl Leonardo:
Mailand, Gemeinfrei (Wikipedia)
(c) Bout Altar:
Gemeinfrei (Wikipedia)

 

 

 

 

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