Gestatten – Alles nur geklaut

 

Was Kunstgeschichte mit Werbung zu tun hat

(Anmerkung vorab: Dieser Beitrag wurde von keiner der hier genannten Firmen oder Personen gesponsort)

Diesen Beitrag verdanken wir Heidi Klum. Also, geschrieben habe ich ihn natürlich. Aber Frau Klum bot mir den perfekten Einstieg in das heutige Thema: Wie die Werbung Kunst kopiert. Ich habe sie, also Heidi, an einer Bushaltestelle entdeckt. Auf dem Plakat zur aktuellen Staffel ihrer Casting-Show steigt sie an weißem Sandstrand, bekleidet mit einem sehr kleinen Höschen um den Leib und einer sehr großen Perle in der Hand, aus einer sehr sehr großen Muschel. Und weil ich ja eine Fachidiotin bin, dachte ich beim ersten Anblick nicht, „Ach, die Heidi“, oder „Ach, Urlaub“, sondern „Ach, Botticelli“. Genauer gesagt an seine Venus.

Einfach faul statt kreativ?

In der Werbung greift man gerne auf die Kunst zurück. Dabei erwartet man doch gerade dort genug kreative Köpfe, die in der Lage sind, sich selbst etwas einfallen zu lassen, statt sich alter Bilder zu bedienen. Oder…? Das Thema des Bildgedächtnisses habe ich ja neulich schon mal kurz angerissen, und ich will es hier mit Euch nochmal etwas genauer betrachten.

Um bei Venus zu bleiben: Als Göttin und Inbegriff der (weiblichen) Schönheit verwundert es nicht, dass ihr Name und damit ihr Image für entsprechende Werbung genutzt wird: Ein ziemlich bekannter Hersteller für Rasierer hat die weibliche Version seines Produkts (natürlich in rosa…) nach ihr benannt und lässt in seinen Werbefilmchen entsprechend hübsche junge Damen an hübschen blauen Stränden herumlaufen. Verbunden mit dem Slogan „Entdecke die Göttin in Dir“. Griechische Mythologie aufs Minimum reduziert.

Wieso es ein Auto gibt, das „Adam“ heißt, entschlüsselt sich mir zwar nicht, doch ist auch ein berühmter Adam, bzw. ein Teil von ihm, in verschiedensten Varianten zur Werbefigur geworden: Die Darstellung seiner Erschaffung in der Sixtinischen Kapelle, vor allem das Detail der sich fast berührenden Hände des ersten Menschen und seines Schöpfers, ist nicht nur unzählige Male auf Kunstdrucken wiedergegeben worden. Auch dieses Motivs hat sich die Werbung fleißig – und nicht nur einmal – bedient. Naheliegend ist das beim Plakat für den (übrigens sehenswerten) Film Bruce Allmächtig.

 

Die Geste der sich aufeinander zu bewegenden Hände hat aber auch der Handyhersteller Nokia aufgenommen. Wenn man das Gerät einschaltet, sieht man, synchron zum Klang des Jingles, eine große und eine kleine Hand über das Display gleiten. Die Geste geht nicht nur einher mit der „Belebung“ des Geräts, sie verweist als nonverbale Aktion auch auf die Belebung der verbalen Kommunikation durch das Handy.
Durch das Produkt leicht verfremdet, aber nicht weniger klar erkennbar, hat auch Lego das Motiv der entgegengestreckten Hände aufgenommen. Im Spiel mit dem kleinen Plastikmännchen erwacht dieses (zumindest in der Phantasie des mit ihm Agierenden) zum Leben.

 

Ziemlich dreist, weil nicht einmal annähernd darum bemüht, selbst etwas Kreatives beizusteuern, war mal ein Hersteller von Pflegeprodukten, der seine Ware in die Bilder Alter Meister hinein„garnier“te. (Was mich ja neben der geringen Eigenleistung und dem Fehlen jeglichen Bezugs zum Bildthema zusätzlich ärgert, ist die Bewertung von früheren Körperdarstellungen nach heutigen Kriterien. So als seien diese immer schon gültig gewesen, und nicht, wie alle Körperideale, ein Kind ihrer Zeit. Da werden dann die Drei Grazien von Rubens sozusagen posthum zu Problemzonendamen erklärt, deren Cellulite man nach 400 Jahren nun endlich wegcremen kann…)

Geschickter hingegen hat es vor vielen Jahren die Werbeagentur einer großen Bank gemacht: Auf einem Plakat (leider habe ich es im Netz nicht finden können)hat sie Formen verwendet, die sofort an die Bilder Joan Mirós denken ließen. Dagegen haben die Erben des Künstlers, bei denen die Bildrechte lagen, geklagt. Jedoch erfolglos, weil keines der verwendeten Formen tatsächlich aus einem Miró-Bild entnommen worden war. Die Graphiker hatten sich zwar klar am Maler orientiert, sich dann aber eigene Formen ausgedacht.

 

Zweikarriere als Coverboy

Auch die Printmedien bedienen sich fleißig an der Kunst. Ganz „Zeit“nah hat eine bekannte Wochenzeitung in ihrer letzten Ausgabe den jungen Mann links als Coverboy verwendet. Eine wahre Fundgrube ist auch das Archiv einer der größten deutschen Nachrichtenmagazine. Hier „spiegelt“ (…) sich das Who is Who der Kunstgeschichte wider. Selbstverständlich treffen wir auch hier auf Venus und auf Adam.

Als Freundin des Subtilen gefallen mir Titelbilder mehr, die mit Anspielungen auf Gemälde und Skulpturen arbeiten. Das ist so wie Memory spielen, nur dass man keine Karten umdrehen kann. Hier ein paar Beispiele:

 

Kennen wir uns nicht irgendwo her…?

Aber wieso bedienen sich Werber und Zeitungscoverentwerfer so gerne an Kunstmotiven? Erst einmal ziehen Bilder unsere Aufmerksamkeit viel stärker auf sich als ein reiner Text (es sei denn, dieser ist übergroß und fett und man schreibt „Bild“ daneben). Durch Bilder lassen sich Themen viel komprimierter und schneller vermitteln. Wenn uns das Bild außerdem noch bekannt ist, und sei es nur, dass wir es unbewusst in unserem Gedächtnis abgespeichert haben, müssen wir es nicht erst vollständig neu „lesen“. Der Wiedererkennungseffekt beschleunigt unsere Aufnahmefähigkeit. (Das ist ähnlich wie mit dem Lesen von Texten. Wir müssen uns aufgrund unserer Erfahrung und Routine nicht mehr mühsam von Buchstabe zu Buchstabe hangeln, wie es Leseanfänger tun. Wir erkennen vielmehr an der Form und typischen Kombinationen der Buchstaben die Worte auf Anhieb). Außerdem mögen wir schlicht Dinge, die uns vertraut sind.

Was wir an den Beispielen hier aber auch sehen (und das liegt nicht an einer gezielt von mir getroffenen Auswahl): Sie greifen sehr häufig auf Darstellungen von Menschen zurück. (Auch) Das mag uns – bei der Flut an Bildern, denen wir täglich begegnen – gar nicht so bewusst sein, aber mit jedem Menschen, den wir auf Postern, Covern, in Werbefilmen etc. sehen, identifizieren wir uns. – Weil wir zur selben Spezies gehören und wir aufgrund unseres evolutionären Erbes darauf trainiert sind, Gesichter besonders schnell zu erkennen und ihren Gemütszustand zu erfassen. Ein Bild, dass nur über Gegenstände bzw. Produkte läuft, geht nie so an uns wie eines, dass sich einer menschlichen Figur und (das ist natürlich der eigentliche Schlüssel) seiner Emotionen bedient.

Ein besonders subtiles, wenn auch makabres, aber gelungenes Beispiel, das zwar ohne Menschen auskommt, und dennoch einen „porträtiert“, ist ein Plakat des Cafés im van Gogh Museum von Amsterdam: … Na, könnt Ihr es entschlüsseln?

 

Der Rückgriff auf vorhandene Bildmotive ist keine zeitgenössische Erfindung. Auch Künstler habe sich immer schon gerne an Arbeiten von Kollegen bedie…, sich davon inspirieren lassen. Mehr dazu im nächsten Blog (25.4.). Oder im übernächsten. Hängt davon ab, wieviel Zeit und Nerven nach der Umsetzung des neuen DSGVO bei mir noch vorhanden sind…

 

Sandro Botticelli: Die Geburt der Venus, ca. 1485/86, Uffizien, Florenz | Michelangelo: Die Erschaffung Adams (Detail), 1508-12, Sixtinische Kapelle, Vatikan | Nokia Werbung | Lego Werbung | Werbung Garnier, Publicis Group Austria GmbH, Sava Evelina, (c) 100 Beste Plakate e. V. 2014/2017 | Hippolyte Flandrin: Jüngling am Meeresufer, 1855, Louvre, Paris | Spiegel Cover: Venus 25/2005, Adam 38/2003, Denker-Baby 43/2003, Sitzender 29_2010, Trump-Welle 45/2017 | Auguste Rodin: Der Denker, 1880-82 , Finnish National Gallery, Helsinki | Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Goethe in der römischen Campagna, 1787, Foto: Städel Museum – U. Edelmann – Artothek, Frankfurt | Katsushika Hokusai: Die große Welle von Kanagawa, 1829-33, u.a. Metropolitan Museum of Art, New York | Werbung für das neue Museums Café, van Gogh Museum, Amsterdam

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