Gestatten – wie Elfenbeine Füße kriegten…

… und Elefanten Dackelohren

Wir haben beim letzten Mal über die Herstellung von Büchern im Mittelalter gesprochen, und ich habe erwähnt das man zur Verzierung der Deckel gerne Elfenbeintafeln verwendet hat. Ja, schon damals mussten Elefanten ihr Leben lassen, weil man ihre Zähne begehrte. Immerhin griff man für die Covergestaltung hier und da auf schon vorhandene Tafeln zurück; man recycelte also statt zu töten. Dennoch blieb Elfenbein ein so seltenes und kostbares Material, dass selbst Freundschaften dafür auf die Probe gestellt wurden.

Ein Freund, ein guter Freund…

Zumindest gibt es darüber eine schöne Geschichte aus der Chronik des Klosters St. Gallen, zwar hundert Jahre nach dem Geschehen aufgeschrieben, aber bestimmt genauso passiert wie dort geschildert: Hatto I., Erzbischof von Mainz, war in den 890er Jahren auf dem Weg nach Italien, und da er den Mainzern nicht traute, hatte er alles, was er an Schätzen besaß, mitgenommen. In Konstanz machte er Zwischenstopp bei seinem engen Freund Bischof Salomon und überlegte sich, dass sein wertvolles Hab und Gut sicher sicherer bei diesem wäre, als es den ganzen Weg nach Italien und wieder zurück zu schleppen. Für den Fall seines Ablebens sollte der Bischof die Schätze nach Belieben unter den Armen verteilen. Salomon, weniger gerecht, aber genauso klug wie sein Namenspatron, ließ einen Monat verstreichen bis er das Gerücht in die Welt setzen ließ, sein lieber Mainzer Freund habe das Zeitliche gesegnet. In tiefer Trauer erfüllte er Hattos letzten Wunsch und spendete dessen Schatz an verschiedenste Institutionen. Bei seiner Rückkehr war Hatto natürlich wenig amüsiert, doch machte Salomon ihn darauf aufmerksam, dass nur dasjenige Almosen wirklich eines sei – und im Himmel Anerkennung fände – , das einen schmerzlichen Verlust darstellte.

Der Elefant, das unbekannte Wesen

Aus dem Schatz Hattos waren zwei Elfenbeintafeln an das Kloster St. Gallen gegangen, die von so „unvergleichlicher Größe“ waren, dass „der mit Zähnen bewaffnete Elefant unter seinesgleichen ein Riese gewesen“ sein musste, wie der Chronist des Klosters, Ekkehardt IV., beeindruckt notierte. Nun kann man sich fragen, wie er, seine Zeitgenossen und Vorfahren sich eigentlich einen Elefanten vorstellten. Dass sie selbst einen gesehen hatten, ist sehr unwahrscheinlich. Wer einen malen oder zeichnen wollte, musste auf Beschreibungen aus Reiseberichten, vorhandene Bilder und Hörensagen zurückgreifen. Es ist immer leicht, sich über die Menschen von „Damals“ und ihr Wissen bzw. Unwissen lustig zu machen – was ich hier nicht tun will. Es ist aber schlichtweg witzig, welche Wesen sich aus diesen ungenauen Quellen gebildet und in zahlreichen Abbildungen niedergeschlagen haben. Die besonderen Merkmale eines Elefanten waren scheinbar bekannt: viel Körper, lange Eckzähne und ein Rüssel (wobei man schon wieder fragen kann, ob der mittelalterliche Mensch mit dem Begriff Rüssel etwas anfangen konnte). Und das trötende Geräusch, dass er dadurch von sich gibt, muss ebenfalls überliefert gewesen sein, denn wenn es auf den Bildern schon kein Rüssel im eigentlichen Sinne ist, den man dem Getüm ins Gesicht dichtete, so ist es doch in vielen Fällen ein trompetenartiges Etwas. Fehlstellen im Aussehen wurden durch die Optik heimischer Tiere ergänzt. So entstanden interessante, teils ziemlich befremdliche Mischwesen: Ein Schaf mit Hundekopf und von der Größe eines Pferdes, mit einem gedrechselten, trompetenartigen Nasenfortsatz beispielsweise. Oder ein Tier von Größe und körperlicher Gestalt eines Wildschweins mit Pfoten, inklusive Borsten, dem man nicht nur eine Tröte als Rüssel, sondern gleich auch als Ohren montierte. Andere Abbildungen hingegen sind erstaunlich nahe dran am Original. – Ob sie auf einer Quelle beruhten, deren Verfasser tatsächlich einen echten Elefanten zu sehen bekommen hatte?
Immerhin, ca. 90 Jahre vor Hattos Reise war der erste (und für lange Zeit letzte) Dickhäuter als Geschenk des Kalifen Hārūn ar-Raschīd von Bagdad kommenden durch Europa bis nach Aachen marschiert (natürlich in Begleitung), um dort 802 als Geschenk Karl dem Großen übergeben zu werden. Mit Sicherheit hatte das Tier viel Aufsehen erregt, vielleicht hatten Zeichner am Hof des Kaisers Porträts von ihm angefertigt – wir wissen es nicht. Dass Elefanten große Strecken und verschiedene Klimazonen durchwandern können, ist ja spätestens seit Hannibals Alpenüberquerung 218 v. Chr. bekannt. Die 37 mitgeführten Dickhäuter überlebten tatsächlich allesamt die Wanderung über die Berge (starben aber im Winter darauf).

 

 

Ab in die Kiste

Das bringt uns wieder zurück zum Thema Bücher. Denn es scheint, als gehe ein Elefant eher durch ein Gebirge, als man ein altes Buch von A nach B bekommt. Zum Beispiel eben dasjenige, dessen Einband von den zwei Elfenbeintafel aus dem (ehemaligen) Besitz Hattos I. von Mainz verziert wird. Ich hatte vor einigen Jahren das Glück, beim Auspacken dieses Evangelium Longum dabei zu sein – die St. Gallener vertrauten darauf (vielmehr dem Leihvertrag mit dem Mainzer Museum), dass das Buch im Anschluss an die Ausstellung wieder an sie zurückgehen würde. Obwohl die Mainzer auch heute noch finden, dass mindestens die beiden Elfenbeintafeln eigentlich ihnen gehören…

Das Ausleihen eines Exponats ist ein umfangreiches Unterfangen. Es beginnt bei der Anfrage an das besitzende Museum und, wenn dieses sein Ok gibt, beim Austausch des unterschriebenen Leihvertrags. Darin werden der Leihzeitraum, der Zustand sowie die Bedingungen für die Ausleihe festgelegt. Zu Letzteren gehören z.B. das Klima und die Lichtintensität in den Ausstellungsräumen, Versicherungsklauseln, wer den Transport vornimmt (es gibt Firmen, die sich auf Kunsttransporte spezialisiert haben) und ob ein Kurier seitens des Hauses bei der Reise mit dabei sein soll oder nicht (was mal dazu geführt hat, dass ich vier Tage in New York verbringen durfte). Für jedes (jedes!) einzelne Objekt wird eine Transportkiste gebaut – Kunstwerke halten sich an keine Normgrößen – und ausgekleidet, damit das Objekt nicht wackelt und von innen an die Kiste stößt. Bei klimaempfindlichen Exponaten wie alten Büchern erhält die Kiste eine besondere Innendämmung. Sie sorgt dafür, dass das äußere Klima nicht unmittelbar in die Kiste dringt. Diese sogenannte Klimakiste wird ca. drei Tage vor Transport mit offenem Deckel in den Raum gestellt, in dem sich das Objekt befindet, um seine Atmosphäre anzunehmen. Dann wird das – bleiben wir dabei – Buch unter den gestrengen Augen eines Museumsmitarbeiters vom Restaurator mit Handschuhen in die Kiste gepackt. Meistens kommt noch ein wenig säurefreies Seidenpapier drumherum (das steigert die Spannung beim Auspacken und sieht einfach hübscher aus) und unbedingt das Zustandsprotokoll in die Kiste, bevor diese verschraubt wird. Weil es besonders schrecklich ist, ein Objekt aus dem eigenen Haus beschädigt zu haben, tragen ab diesem Zeitpunkt nur noch die Herren des Transportdienstes die Kiste. Dann geht´s mit dem Transporter oder Laster auf die Reise (oder mit dem Flugzeug, aber das ist ein noch viel längeres Prozedere). Im ausleihenden Museum angekommen, wird das Programm erneut abgespult. Erst einmal steht die Kiste verschlossen in dem Raum, in dem das Objekt gezeigt werden soll, um ihr Inneres an das neue Klima zu gewöhnen. Wenn der Weg weit war, kann sich der Kurier freuen, weil er zwei-drei Tage Zeit hat, sich die Umgebung anzuschauen. Dann kommt der große Moment, auf den sich alle freuen (vor allem die Leihnehmer) – und vor dem alle zittern (vor allem die Leihgeber): Das Buch wird ausgepackt.
Selbstverständlich mit Handschuhen und unter gestrengem Blick des Kuriers und des Museumsverantwortlichen. Es folgt, das gehört zum Protokoll, ein langes „Aaah“ und „Oooh“ seitens der Leihnehmer und ein stolzes Erröten seitens des Leihgebers.  

Es ist, auch wenn ich gerade etwas ironisch geklungen habe, für den gemeinen Kunsthistoriker doch immer wieder ein besonderes Erlebnis, wenn so ein originales Werk ganz ungeschützt vor einem liegt. Da kann man schon mit Fug und Recht vom Hauch der Geschichte sprechen, der einen da anweht und ehrfurchtsvoll erschaudern lässt. Nach dem Begeisterungssturm wird man wieder sachlich: Das Buch wird entsprechend dem Zustandsprotokoll untersucht und kommt dann in die Vitrine, die unter den Augen des Kurators verschlossen werden muss. Ist die Ausstellung vorbei, wird das Prozedere erneut abgespult.

 

Viel Lärm um nichts?

Es wirkt vielleicht prätentiös, dieses umständliche Transportieren von Kunst. Vor allem, wenn man sich klar macht, dass eine Ausstellung oft durch viele Leihgaben bestritten wird und sich darunter auch manchmal Objekte befinden, die locker in eine Hosentasche passen würden. Aber durch dieses Verfahren sind alle Seiten am besten abgesichert, sollte es zur Beschädigung oder gar zum Verlust eines Objekts kommen.

 

 

Welche bösen Überraschungen es bei Ausstellungsvorbereitungen geben kann, davon erzähle ich ein andermal.
Wer sich noch weitere, lustige Elefantenbilder anschauen möchte, findet hier eine schöne Auswahl: http://bestiary.ca/beasts/beastgallery77.htm#

Beim nächsten Mal gibt es 10 Gründe, warum wir nicht ins Museum gehen.

 

Hatto I., Erzbischof von Mainz, aus der Schedelschen Weltchronik, Nürnberg, 1493 | Matthaei Paris Chronica Maiora II (Detail), Paris, zwischen 1235-1259, Parker Library, Corpus Christi College, Cambridge | Getty Das Land Indien (Detail), flämisch, um 1475, J. Paul Getty Museum, Los Angeles | Aus einem Kodex (Detail), England, um 1230, British Library, London | Aus einem Manuskript (Detail), frankoflämisch, um 1270 | Evangelium Longum, St. Gallen, um 895, Stiftbibliothek St. Gallen, Foto: privat | weitere Fotos: privat

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