Gestatten – Spieglein, Spieglein…

 

Warum mehr manchmal weniger ist

Selfies – unfreiwillig

Neulich habe ich eine sehr lustige Fotosammlung von Menschen gesehen, die ihre Spiegel auf einem sehr bekannten Verkaufs- und Auktionsportal versteigern wollten. Nun erhöhen sich die Chancen auf einen (ertragreichen) Verkauf, wenn man den zu veräußernden Gegenstand schön fotografiert. In Zeiten, in denen Menschen zwar einerseits allein mit ihrer Existenz und deren stetem Beweis durch eine Flut von Bildern reich werden, andererseits die Empfindlichkeit bezüglich der eigenen Privatsphäre immer seismografischer wird, gilt es, besonders beim Fotografieren von Spiegeln eine gute Lösung zu finden, will man nicht selbst mit auf dem Bild erscheinen. Wie die oben erwähnte Bildersammlung zeigt, haben die Spiegel-Anbieter dazu einige sehr kreative Lösungen gefunden.

Erstaunt bis irritiert war ich, als ich dann auf eine andere Seite geriet, in der Menschen ebenfalls diverse Dinge per Foto zum Verkauf anboten, jedoch wohl nicht bedacht hatten, dass es neben Spiegeln – bei denen Nomen Omen ist – eine ganze Reihe an Oberflächen gibt, die ebenfalls spiegeln. Das wäre nicht weiter spektakulär, wären die Fotografen und -innen nicht im Moment der Aufnahme nackt gewesen. Akt/Nacktfotografie ist ja ein allgemein an- und bekanntes Genre, aber das der Künstler dabei (stattdessen oder auch) blankzieht, war mir bis dato neu. Und ich komme beim ein oder anderen Schnappschuss nicht umhin, dem Abdrücker eine exhibitionistische Ader zu unterstellen….

Als Maler hat man es da viel einfacher. Was man nicht im Bild haben will, das malt man einfach nicht rein. Und wenn´s denn einen Spiegel gibt, kann man über das, was er reflektiert immer noch selbst entscheiden.

 

Detail. Verliebt?

Eines der wohl bekanntesten und interessantesten Bilder mit Spiegel ist Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit (1434). Van Eyck (um 1390-1441) gilt zu Recht als einer der ganz Großen seiner Zunft. Lange wurde ihm nachgesagt, die Ölmalerei überhaupt erfunden zu haben. Das stimmt zwar nicht, aber er hat sie weiterentwickelt und aufs Äußerste perfektioniert. Dies verhalf ihm, seine Darstellungen bis ins kleinste Detail naturgetreu widerzugeben So sehen wir an den klobigen Holzschuhen vorne links noch den Dreck der Straße kleben. Und sieht der Fellbesatz am Mantel der Braut nicht so weich aus, dass man gleich darüberstreichen möchte? Aber wir wollen uns davon ebenso wenig ablenken lassen wie von der wenig ausgeprägten Attraktivität des Bräutigams und dem dicken Bauch der Braut, sondern uns den kleinen runden Spiegel an der gegenüberliegenden Wand genauer anschauen. In der Großaufnahme sehen wir – neben den Rückansichten des Brautpaars und der Raumansicht in konvexer Verzerrung – schemenhaft zwei weitere Personen. Der Logik folgend müsste eine davon (in blau) er selbst sein. Und die zweite? Hat van Eyck, detailverliebt wie er war, uns als Betrachter hier mitgedacht und in das Bild miteingefügt?

Kaum ein Gemälde hat so viele Fragen und Geheimnisse unbeantwortet gelassen und so viele steile Thesen und Interpretationen hervorgerufen, wie van Eycks Doppelporträt. Dabei geht es nicht nur um die „falsche“ Spiegelung. Zeigt der nach innen gekehrte Blick des Bräutigams an, dass dieser blind war? Sind hier wirklich Giovanni di Nicolao Arnolfini und Costanza Trenta zu sehen, obwohl die Braut schon ein Jahr vor Entstehung des Bildes verstarb (die Datierung aber unbezweifelbar ist wegen des Schriftzugs über dem Spiegel)? Und wieso taucht in der Spiegelung der kleine Hund zu Füßen der Braut nicht auf, obwohl er zu sehen sein müsste?

 

Der König als Staffage

Gut 200 Jahre nach van Eycks Arnolfini-Hochzeit malte ein weiterer berühmter Künstler ein weiteres berühmtes und ebenso rätselhaftes Bild mit Spiegel: Diego de Velázquez die Las Meninas (Die Hoffräulein, 1656). Im Mittelpunkt des Bildes steht ganz klar die 5-jährige Infantin Margarita von Spanien. (Wie Velázquez es schafft, unseren Blick sofort auf sie zu lenken, obwohl sie die kleinste Person im Bild ist, das erkennt Ihr mittlerweile bestimmt selbst.) Doch auch dem Maler hat sich mit seiner Leinwand diesmal mit in das Bild hineinkomponiert, ebenso wie weitere Personen des Hofes, die zweifelsfrei identifiziert werden können. An der Wand im Hintergrund des Raums hängt, zwischen einer Reihe großformatiger Gemälde, ein Spiegel, der das Königspaar (Philipp IV. und seine Frau Maria Anna) zeigt. Soweit scheint alles sonnenklar.

Doch wie kann es sein, dass der Maler bis auf die Prinzessin nur Hofpersonal inklusive seiner selbst auf dem recht großen Bild (3,18 x 2,76 m) verewig, das Regentenpaar aber nur indirekt, unscharf und klein in den dunklen Hintergrund verbannt hat? Oder ist es gar nicht das reale Paar, dass im Spiegel erscheint, sondern das Porträt, welches Velázquez gerade auf die Leinwand bringt? Oder ist sowieso alles ganz anders und die Gruppe betrachtet sich selbst in einem großen Spiegel, während Velázquez sie porträtiert und das Bild des Königspaares ist außerdem ebenfalls nur ein Gemälde und keine Reflexion? Wir sehen viel und erkennen – nichts.

 

Vorm Spiegel sind wir alle gleich

Man sollte meinen, ein Spiegel im Bild führe zu einem Mehr an Information. Er sorgt zusätzlich für Tiefe, erweitert den Bildraum um das, was sich vorm Bildrand bzw. hinter unserem Standpunkt abspielt und macht uns so zum (An-)Teilhaber der Szenerie. Wie wir aber bei van Eyck und Velázquez sehen: Mit dem Mehr an Raum scheint durch den Spiegel und dem, was er zeigt, auch das Mehr (oder Meer) an Fragezeichen zuzunehmen. Seine Reflexion führt nicht zu mehr Information und Erkenntnis, sondern – um es mit Platons Höhlengleichnis zu sagen – zu noch mehr Schatten an der Wand, die wir zwar sehen, aber nicht erklären können.

Das Tragische ist, wir werden auf die Fragen, die sich uns hier stellen, niemals eindeutige Antworten finden. Zumindest nicht, solange nicht endlich die Zeitmaschine erfunden wird, mit der wir ins Spanien des 17. Jahrhunderts (oder ins Brügge des 15. Jahrhunderts) reisen und den Maler ausquetschen können. Das Gute ist: egal ob Kunstexperte oder nicht, bei der Betrachtung dieser Bilder sind wir, zumindest was ihre Interpretation betrifft, alle gleich ahnungslos. Und unserer eigenen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wir können uns selbst eine verrückte, traurige, gruselige, komische Geschichte zum Hintergrund der Bilder aus-malen.

Zum Schluss, damit Ihr nicht zu frustriert seid, hier noch ein Link zu Bildern der Stillebenmalerin Clara Peeters. Ganz ähnlich unserer Hobbyfotografen hat sie sich (wenn auch bekleidet und in voller Absicht) hier und da durch die Reflexion von Gegenständen selbst mit in die Arrangements hineingemalt. Klickt eines an, dann könnt Ihr mit dem Regler rechts das Bild vergrößern. Viel Spaß beim Suchen!

 

Beim nächsten Mal seid Ihr dran…!

 

Giuseppe Bartolomeo Chiari: Bathseba im Bade (Detail, Italien, um 1700, Metropolitan Museum, New York |  F. van Leeuwen: Hund, an einem Spiegel schnüffelnd, o.D., Rijksmuseum Amsterdam | Jan van Eyck: Die Arnolfini-Hochzeit, Brügge, 1434, (c) National Museum, London | Diego Velázques: Las Meninas (Die Hofdamen), Madrid, 1656, ©Archivo Fotográfico Museo Nacional del Prado

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