Gestatten: ZeigeFingerZeig

Warum Künstler Künstler kopieren

 

Neulich war ich irritiert (das kommt regelmäßig vor, aber nur das eine Mal ist hier relevant). Ich hatte einen Ausstellungskatalog in der Hand, auf dessen Cover das Detail der Erschaffung Adams (s. vorletzte Woche) in Form von zwei Fotografien echter Hände variiert worden war. Ich sah mir die Hände an und dachte: „Ach, spannend. Die haben die Hände vertauscht. Adams Hand (links) ist jetzt die locker-lässige Erweckerhand, und Gott kommt von rechts mit der lebendig gewordenen Geste.“ Das stimmte natürlich nicht. Adams Hand ist auch im Original die Lockere, noch etwas Kraftlose. Und Gott deutet dynamisch auf ihn. Macht ja auch Sinn. Aber irgendwie war ich mir sicher, irgendwo die Geste Adams als Hand von rechts nach links zeigend gesehen zu haben…

„Die“ Hand von rechts

In Ermangelung eines Fernsehers durchforste ich regelmäßig die Mediatheken verschiedener Sender. Auf Arte wurde ein Beitrag zu Caravaggio angezeigt (habe ich schon erwähnt, dass er einer meiner Lieblinge ist?). Und da hatte ich meine Adamshand von rechts! Im Gemälde „Die Berufung des Matthäus“ kopiert und spiegelt Caravaggio die Geste Adams und macht sie zur Geste Christi, der mit ihr seinen neuen Jünger erwählt (wobei man nicht sicher sein kann, auf wen der Personen links er genau zeigt – auch eines der ewigen Rätsel der Kunst). Eigentlich hätte der dynamische Fingerzeig Gottes hier viel besser gepasst. Aber diese Lässigkeit, die in dieser Handhaltung liegt – ach, die hat einfach was. Da wirkt der sonst so liebe gute Jesus schon fast überheblich, als würde er einfach nur sagen: „Du da, mitkommen.“ In absoluter Gewissheit seiner unwiderstehlichen Wirkung.

Ein Bild von einem Bild

Sog. Majestas Domini, von 810 und von 969

Künstler haben schon immer gerne und viel auf die Arbeiten von Kollegen zurückgegriffen. Bei umfangreichen Reproduktionen wie in der Buchmalerei war das noch eine Frage der Effizienz. Die Mönche in ihren Skriptorien interpretierten zwar Vorlagen auf ihre Art, hatten aber nicht den Anspruch, etwas völlig Neues zu schaffen. Man war ja auch schon gut damit beschäftigt, die Vorlage abzuschreiben und zu -malen.

Sich an der Qualität anderer zu schulen, war über lange Zeit selbstverständlicher Teil der Aus- und Fortbildung von Künstlern. Das möglichst genaue Kopieren eines vorbildlichen Gemäldes hatte nichts mit böswilligem Fälschen, sondern mit der eigenen Verbesserung von Malstil, Technik usw. zu tun. Und eine deutlich sichtbare Auseinandersetzung und Interpretation eines vorhandenen Bildes diente nicht nur der eigenen Schulung, sondern war auch eine Hommage an den Schöpfer des Originals. So wurde Eugéne Delacroix (17898-1863) von van Gogh schwer verehrt, und er interpretierte Gemälde seines Vorbilds auf seine Art.

Ein legendärer Fingerzeig

Spannend wird es, wenn es um Details geht und Künstler auf Werke zurückgreifen, die Jahrhunderte vor ihren eigenen geschaffen wurden: Nur wenige Wochen nach Kriegsende, im November 1918, wurde in München für ein knappes Jahr der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald (1475/80-1528 oder 31/32) ausgestellt. Der grausam zugerichtete Körper des Gekreuzigten, die Ohnmacht und Verzweiflung der beiden Marien – die Grauen des Krieges noch in den Knochen, waren die Besucher der Alten Pinakothek zutiefst beeindruckt. Eine Vielzahl von zeitgenössischen Künstlern setzte sich nach der Besichtigung intensiv mit dem Werk auseinander. Otto Dix, der den Altar ebenfalls gesehen haben muss, nahm ihn als Vorbild für sein Triptychon Der Krieg, eine der drastischsten und schonungslosesten Darstellungen des Ersten Weltkriegs, welchen Dix als junger Soldat in der Schlacht von Verdun am eigenen Körper erlebt hatte.

Zunächst einmal griff er auf die Komposition des typisch mittelalterlichen, dreiflügeligen Altars (Triptychon) zurück. Das exponierteste Feld, die Mitteltafel, traditionell mit der Kreuzigung Christi belegt, lässt uns bei ihm auf ein Schlachtfeld mit all seinen grausamen Details blicken. Dass in der Predella, dem schmalen, breiten Bildfeld darunter, bei Dix tote Soldaten wie begraben liegen, rekurriert ebenfalls auf gotische Altäre, bei denen an dieser Stelle häufig der tote, vom Kreuz genommene Christus zu sehen ist. Ein konkreter – im wahrsten Sinne des Wortes – Fingerzeig auf den Isenheimer Altar (neben einigen kompositorischen Anleihen), findet sich ebenfalls auf der Mitteltafel: Hier steht Johannes der Täufer rechts vom Kreuz. Seine stark gebogene Arm- und Handhaltung mit dem langen Zeigefinger ist legendär geworden. Geste und Inschrift („Illum oportet crescere me autem minui“ – „Jener muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“) verweisen auf Johannes als Verkünder des Messias und auf dessen notwendigen Tod zur Erlösung der Menschheit. Dix übernimmt das Detail der Hand, wenn auch variiert: Bei ihm ist es ein fast vollständig skelettierter Leichnam in Lumpen, der vom linken Bildrand, aufgespießt auf einen in den Himmel ragenden Stahlträger, über dem Schlachtfeld schwebt und auf die Leichenberge zeigt, die sich in der rechten Bildhälfte türmen.

Anders als auf dem historischen Vorbild Grünewalds liegt in dieser Geste jedoch kein Hinweis auf ein gutes Ende, kein Wissen um ein besseres Danach. Knapp 2.000 Jahre nach dem Opfertod Christi am Kreuz, so könnte man Dix` Werk lesen, ist aus dem  Opfertod fürs Vaterland ein anonymes Krepieren geworden. Auf den Schlachtfeldern stirbt keiner für einen tieferen Sinn. Statt Hoffnung auf das ewige Leben ist hier die Hölle auf Erden ausgebrochen, Erlösung daraus bietet nur der (endgültige) Tod.

 

Es ist nicht das schönste Ende für einen Beitrag – und nicht der schönste Einstieg in ein Wochenende. Deswegen zum Abschluss noch etwas Erbauliches: Auch ich habe mich bedient, und mit Hilfe und großzügiger Unterstützung von City Cards wird in den nächsten Tagen diese hübsche Maid in Cafés und Bars von München und Nürnberg zu finden sein. Ich bin gespannt, wie sie ankommt!

 

 

 

 

 

Und nächstes Mal schlagen wir Bücher (auf).

 

Michelangelo: Die Erschaffung Adams (Detail), 1508-12, Sixtinische Kapelle, Vatikan | Caravaggio: Die Berufung des Matthäus (Detail und gesamt), 1599-1600, San Luigi dei Francesi, Rom, Wikimedia, photo of art work made by Paul Hermans | Lorscher Evangeliar (Codex Aureus Laureshamensis): Majestas Domini, wohl Aachen, um 810, Nationalbibliothek Alba Julia, Rumänien, Copyright nicht ermittelbar | Gero Codex: Majestas Domini, Reichenau, wohl 969, Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt | Eugène Delacroix: Der barmherzige Samarither, um 1849/50, privat | Vincent van Gogh: Der barmherzige Samarither, nach Eugène Delacroix, 1890, Krölle-Müller Museum, Otterlo, Niederlande | Eugène Delacroix: Pietà, 1850, Nationalmuseum Norwegen, Oslo | Vincent van Gogh: Pietà, nach Eugène Delacroix, Van Gogh-Museum, Amsterdam | nicht abgebildet: Matthias Grünewald: Isenheimer Altar, 1512-16, Musée Unterlinden, Colmar | Otto Dix: Der Krieg (Triptychon), 1929/32, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

 

 

 

 

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