Gestatten – Nepper, Schlepper, Nashornfänger

Museale Albträume, Teil 2

Da sieht man mal, wie die Zeit vergeht. Der erste Teil der Abtraum-Reihe erschien am 27. April 2019! Dazwischen gab es einfach zu viele Themen, die ich Euch unbedingt nahebringen wollte, sodass die Fortsetzung also erst heute folgt.

Und weg war sie… Bellinis ´Saliera`

Schlecht gerüstet

Wien, am 11. Mai 2003, mitten in der Nacht. Im Kunsthistorischen Museum schlägt der Bewegungsalarm an. Das kommt immer wieder mal vor, meistens ist es ein Fehlalarm, weswegen ihm die Sicherheitsleute nicht nachgehen. Dass die Fassade des Gebäudes zu Sanierungszwecken eingerüstet ist und den Einstieg in alle Stockwerke ermöglicht, beunruhigt sie auch nicht weiter. Am nächsten Morgen hat man den Salat: Die auf einen Wert von 50 Millionen Euro geschätzte Saliera, das einzig erhaltene Goldschmiedestück des manieristischen Bildhauers Benvenuto Cellini (1500-1571) ist weg.

Drei Jahre dauert es, bis der Räuber geschnappt und das Salzfässchen, das er zeitweise unter seinem Bett aufbewahrt hat, wieder da ist. In diesem Fall traf zu: Gelegenheit macht Diebe. Und das macht diesen Zufalls-Coup auch so einzigartig. Denn in der Regel wird Kunst gezielt gestohlen und die Tat geplant. Jüngstes Beispiel: Der Juwelenraub im Grünen Gewölbe, Dresden, Ende des letzten Jahres. Nun besitzt das Museum durchaus bekanntere und optisch reizvollere Stücke, wie z.B. den Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls (Johann Melchior Dinglinger, 1701-1708) und Raffaels Sixtinische Madonna (1512/13). Aber diese Exponate sind schon aufgrund ihrer Größe für Diebe uninteressant. Und: Sie sind geradezu unverkäuflich, weil viel zu berühmt. Das Klischee vom russischen Oligarchen, der gezielt Weltkunst stehlen lässt, um sie dann doch nicht als Ausdruck seines Reichtums präsentieren zu können, können wir in den meisten Fällen genauso gedanklich einschmelzen, wie es vermutlich mit der 2017 gestohlenen Goldmünze Big Maple Leaf real geschehen ist. – Ein Schicksal, das auch für die Schmuckstücke aus Dresden befürchtet wird: Auseinandermontiert lassen sich ihre Einzelteile (fast) nicht mehr ihrem eigentlichen Zusammenhang zuordnen und sind leichter verkäuflich.

Schlechter Deal

Seltsamer Titel, aber viel Wert: Pisanellos Wachtel-Madonna

Dennoch werden immer wieder auch Gemälde berühmter Maler gestohlen, wie zum Beispiel im Jahre 2015 in Verona. Wenn aber die Bilder nicht verkauft werden (können), was machen die Diebe dann mit ihnen? Das Zauberwort ist Art Napping. Wie beim Kidnapping fordert man Lösegeld und droht mit Vernichtung, sollten die Erpressten dieses nicht beibringen. Vorteil: Die Kunst muss in der Zwischenzeit nicht versorgt werden, schreit nicht, plädiert nicht ans Gewissen (wenn man denn eins hat), braucht nicht viel Platz, kann nicht fliehen etc. Nachteil: Museen besitzen zwar Kunst im Gegenwert von Millionen, sind aber trotzdem finanziell dauerklamm. Ein Grund, weshalb bei Auktionen wegweisende Kunst ganz offiziell in private Sammlungen verschwinden, statt in öffentliche Ausstellungshäuser zu kommen. Letzteren fehlt schlicht das Geld. Ob und wieviel sie zahlen, damit Bilder wieder zurückkehren? Dazu schweigen sich die betroffenen Häuser aus. Ist wohl auch besser so. Man will ja nicht zur Nachahmung motivieren. Immerhin: Für die Häuser gab es hier schon das ein oder andere Happy End. So kehrten 2019 nach genau 40 Jahren fünf aus dem Schloss Friedrichstein in Gotha gestohlenen Gemälde nach Hause zurück. Bis heute weiß man zwar nicht genau, wer die Werke warum oder für wen stahl, aber Hauptsache, sie sind überhaupt und einigermaßen unbeschadet wieder da!

Wieder da! Holbeins Katharina

Schlecht geschützt?

Kunst wird gestohlen, seit es sie gibt. Müssten da mit der Erfahrung von Jahrhunderten und den Möglichkeiten moderner Technik nicht längst Vorkehrungen zu treffen sein, sie ausreichend zu schützen? Die Antwort: Ein klares Jein. Denn wo ein Wille, da auch im Geschäft des Kunstdiebstahls ein Weg. Die einzige Möglichkeit, ein Objekt absolut sicher vor seinem Raub zu schützen, wäre wohl seine Vernichtung. Alle anderen Maßnahmen sind, weil von Menschen gemacht, auch von Menschen überwindbar. Die Museen stecken dabei in einem undankbaren Dilemma: Sie sind nicht nur der Aufbewahrung und Erhaltung von Kunst verpflichtet, sondern auch ihrer Vermittlung. Und wie soll die funktionieren, wenn man alles in schwer gesicherten Depots lagert? Bei so spektakulären Fällen wie den oben genannten wird reflexartig immer schnell auf die Museen und ihre vermeindlich unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen gezeigt. Zwischen den Zeilen unterstellt man ihnen eine gewisse Fahrlässigkeit, eine Mitschuld am Raub. Ok, im Fall der Saliera ist das nicht von der Hand zu weisen. Aber in der Regel erfolgen Überfälle ja wie gesagt gezielt – und nicht selten im laufenden Betrieb. Wie müsste da ein Hochsicherheits-Szenario aussehen? Dass man Aufsichten mit MGs ausstattet? Das man von ihnen verlangt, sich den bewaffneten Kunst-Kidnappern in den Weg zu stellen und das eigene Leben zu riskieren? Wohl kaum.

Mir is` schlecht…

Heiß begehrt – die Spitze des Nashorns

Ein Restrisiko bleibt – aber so ist es nun mal im Leben. Und manchmal gibt es vielleicht auch so etwas wie höhere Gerechtigkeit… Vor knapp 10 Jahren trug sich in der Museumswelt eine Diebstahlserie zu, die gleich zweifach absurd war: Die Räuberbande hatte es gezielt auf Nashorn-Hörner abgesehen. Vor allem Naturkundemuseen mit entsprechenden Präparaten waren betroffen. Hier wurden während der Öffnungszeiten die Hörner einfach davon abgesägt. Später, als die Sache in den Museen und Medien die Runde machte, wurden auch kleinere Objekte aus Horn entwendet. Ich erinnere mich noch, als zur Zeit meines Volontariats das Schreiben eines Museumsdirektors aus Norddeutschland einging, der dringend dazu riet, alle Exponate aus Nashorn-Horn fürs Erste ins Depot zu bringen – was dann auch geschah. Was mit den geklauten Hörnern geschah, war zu erahnen: In Fernost ist ihr Pulver ein beliebtes (wenn auch vollkommen wirkungsloses) Potenzmittel. Da aber lebende Nashörner immer seltener werden und die Jagd auf sie mühsam und gefährlich ist, ist ein entsprechend ausgestattetes Museum für die Diebe eine bequem und relativ gefahrlose Alternative.

Nun hat das Museums-Horn aber einen Haken: Die Präparate sind ordentlich alt (oft über 100 Jahre), und damals imprägnierte man sie zum Schutz gegen Parasiten häufig mit – Arsen… Ich wünsche wirklich niemandem etwas Schlechtes, und sei es der schlimmste Kunstdieb. Aber die Vorstellung, dass der ein oder andere Konsument, der meint, seine Libido mit diesem Mittel stärken zu müssen, statt eines Koitus einen Kurzschluss erlebt, gefällt mir im Sinne ausgleichender Gerechtigkeit schon ganz gut (er muss ja nicht gleich sterben).

Schlechter Stil

Kunstraub ist kein Kavaliersdelikt. Er zählt mit Drogenhandel, Korruption und Waffenhandel zu den lukrativsten Verbrechen. Der Schaden, der durch ihn entsteht, ist mehr als ein finanzieller. Er beraubt die Menschheit ihres kulturellen Reichtums. Ich habe hier „nur“ ein paar Fälle aus der Unterwelt erzählt, aber viel umfänglicher und vermutlich einschneidender sind die von Staat und Machthaben quasi legitimierten Entwendungen von Kunst im großen Stil. – Wenn nämlich aus Kunstraub Raubkunst wird. Es hat lange gedauert, aber mittlerweile kommt eigentich kein Museum mehr drumrum, sich mit der Herkunft einzelner Sammlungsobjekte zu beschäftigen. Das gilt vor allem für Neuzugänge in der Zeit des Dritten Reiches und – ein positiver Effekt der Streitereien um das Berliner Humboldt-Forum – für Exponate aus den ehemaligen Kolonialstaaten. Hier ist noch viel zu tun, aber, wie gesagt, die ersten Schritte sind gemacht.

Beim nächsten Mal machen wir eine Zeitreise. Sowohl in unser aller Vergangenheit als auch in meine persönliche. Bis dahin: Bleibt gesund und kommt so gut es geht durch die Zeit!

Benvenuto Cellini: Saliera (Salzfass), 1540-43, Kunsthistorisches Museum Wien ©KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer | Hans Holbein d.Ä.: Porträt der Katharina Schwarz mit den Attributen ihrer Namensheiligen, circa 1509-1510, Schloss Friedrichstein, Gotha | Pisanello: Wachtel-Madonna, um 1420, ehem. Museo Castelveccio | Nashorn: Vaughn Wright für unsplash

 

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