Gestatten – Schlag mich, ritz mich…

…mach mir ein Buch!

 

Ja, warum SCHLAGEN wir eigentlich Bücher auf? Wo wir sie doch aufklappen, öffnen, aufblättern?

Das Geheimnis dieses Ausdrucks liegt in ferner Vergangenheit, in den unbeheizten Schreibstuben der Klöster, wo kurzsichtige Männer ihre Tonsuren tief über Pulte beugten, um kleine Bilder in große Bücher zu malen… Wer jetzt an den „Namen der Rose“ denkt, liegt ganz richtig. Ich denke, der Film vermittelt einen recht guten Eindruck des spätmittelalterlichen Lebens in einem Kloster – im Allgemeinen wie in der Darstellung des Skriptoriums im Besonderen (bei Min. 10-12).

Die Erstellung eines Manuskripts war eine aufwändige Sache, denn alles daran war handgemacht (manu scriptum – handgeschrieben). Und wenn es ein Prachtexemplar werden sollte – z.B. ein Geschenk für einen Bischof, einen König oder ein anderes, angesehenes Kloster – gab man sich mit der inneren und äußeren Ausstattung besonders große Mühe. Da konnte es schon mal bis zu fünf Jahren dauern, bis der Schinken fertig war – obwohl viele Hände daran arbeiteten.


Freundlicherweise haben uns ein paar Schreiber und Maler Bilder hinterlassen, die uns heute über ihre Arbeit informieren. Allen voran das sogenannte Bamberger Schreiberbild aus einem Codex, der Mitte des 12. Jahrhunderts geschrieben wurde. Schauen wir uns die Schritte der Buchherstellung also mal im Einzelnen an:

1_Der Koordinator
Er hatte zwar erstmal kein Buch, aber im übertragenen Sinne das Heft in der Hand. Denn es musste berechnet werden, wie viel Material benötigt wurde und wer es lieferte. Wie viel Pergament, welche Farben, welches Holz für den Einband? Sollten da noch Edelsteine und/oder eine Elfenbeintafel drauf? Wer lieferte die Beschläge etc. Da Pergament sehr teuer war, ritzte man Notizen mit einem spitzen Gegenstand auf kleine Wachstäfelchen.

2_Der Pergamenter
Ja, für Veganer war so ein Skriptorium nichts, denn Tierhaut war allgegenwärtig. Je wertvoller die Handschrift werden sollte, desto feiner musste die Haut sein. Bevorzugt wurde Leder von Ziegen, Schafen und Kälbern (es geht sogar das Gerücht, dass man die Haut ungeborener Kälber verwendet hat…), weil dieses besonders feinporig ist. Zwar war bei einer Kuh flächenmäßig mehr rauszuholen (der Ausdruck „Das geht auf keine Kuhhaut“ hat im Weitesten damit zu tun), aber je größer (= älter) die Kuh, desto gröber die Haut – und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass durch Zeckenstiche, Dornen u.ä. Löcher im Leder waren. Die wurden dann beim späteren Bearbeiten und Spannen der Haut von Pünktchen zu Kratern oder Rissen, sodass man sagen kann: Viel Haut, viel Makel. Wie viele Tiere man für eine Handschrift brauchte? Wohl viele, genaue Zahlen weiß ich nicht.

3_Der Heftemacher
Um aus Haut Pergament zu machen, braucht es viele Schritte. Zu viele an dieser Stelle. Nehmen wir also an, das Material wurde bereits ans Kloster geliefert und sollte nun zu Buchseiten werden. Wie groß sollte der Codex sein? Je nach Faltung bekam man (einfach) zwei Blätter (also vier Seiten) aus einem Lederstück, bei doppeltem Falten acht usw. Je häufiger die Faltung, desto kleiner waren die Seiten aber logischerweise auch. Von den zurecht geschnittenen Bögen wurden immer ein paar – wie bei einem Schulheft – zusammengelegt und durch Nähen fixiert.

4_Der Grafiker
Diese einzelnen Hefte wurden nun weitergereicht an den Grafiker. Der hieß damals nicht so, hatte aber dieselbe Aufgabe, nämlich, das Layout der jeweiligen Seiten zu bestimmen und einzuzeichnen bzw. einzuritzen. Dazu gehörten die Linien für den Text und/oder Noten sowie die Leerstellen für die Initialen und Bildfelder.

 

5_Die Innenausstatter
Dass das Manuskript zunächst aus einzelnen Heften bestand, hatte den Vorteil, dass mehrere Hände parallel daran arbeiten konnten. Auch wenn die einzelnen Buchstaben in Form und Abständen so homogen wirken, als seien sie gedruckt, lassen sich beim genauen Hinsehen oft kleine Unterschiede feststellen. Da fällt bei dem einen Schreiber das o ovaler aus als bei einem anderen. Oder der Querstrich beim f ist unterschiedlich lang oder schräger. Anhand solcher minimalen Abweichungen kann man heute erkennen, wie viele Kopisten an einem Codex gearbeitet haben. Trotzdem ist die Präzision, mit der jeder von ihnen Buchstabe für Buchstabe auf die Seiten brachte, immer wieder beeindruckend.

4_Die Dekorateure
Auch die Illustratoren arbeiteten parallel, und auch bei ihnen hatte jeder seinen individuellen Pinselstrich. Farben gewann man u.a. aus Ruß, Erden, Mineralien und zerstoßenen Edelsteinen. Aber auch aus Metallen (z.B. rot aus Bleioxid/Mennige, auf Lateinisch minium, von dem sich der Begriff Miniatur ableitet) oder –  Tierschützer nochmal weghören – Schnecken. Genauer: Purpurschnecken. Noch genauer: aus deren Schleim. Dessen Gewinnung und Extrahierung war extrem aufwändig, hinzu kam, dass aus einer einzelnen Schnecke nicht besonders viel herauszuholen war (als Anhaltspunkt: um ein Kilo Wolle zu färben, mussten schätzungsweise 10.000 Schnecken ihr Leben lassen). Entsprechend war Purpur extrem selten und nur ganz hohen Tieren wie Kaisern und Königen vorbehalten. – Vermutlich waren das auch die Einzigen, die sich den Saft leisten konnten.

5_Das Drumherum
Wenn die einzelnen Hefte fertig waren wurden sie zusammengebunden und der entstandene Buchblock mit dem Einband verbunden bzw. verklebt. Dieser bestand meistens aus Holz und wurde bei Prunkhandschriften mit Gold, Edelsteinen und Elfenbeintafeln aufwändig verziert. Da Pergament einiges mehr wiegt als Papier kam bei großen und umfangreichen Manuskripten ein ganz schönes Gewicht zusammen. So wiegt beispielsweise ein Band der sog. Karmeliter Chorbücher (Mainz, 1430-32) mit den Maßen 65 x 45 x 16 cm und 324 Blättern an die 20 kg! Handlich geht anders. Um die Fixierung der Seiten am Buchdeckel beim Transport zu schonen und das Innere vor Schmutz und Feuchtigkeit zu schützen, wurden der Einband oft mit Schließen versehen.

Und mit ihnen kommen wir zum Geheimnis des Buchaufschlagens: Wie bei einem prallgefüllten Koffer standen diese unter Spannung. Um diese zu lösen und das Buch öffnen zu können, schlug man auf den Buchdeckel (so wie man sich auf den vollen Koffer setzt), damit sie aufsprangen. Heute schlagen wir unsere Bücher nicht mehr, der Ausdruck hat sich aber über die Jahrhunderte erhalten.

 

Beim nächsten Mal geht es um einen riesigen Elefanten und die Frage, wie ein Buch von A nach B kommt.

 

Sog. Bedford Meister: Äbtin Opportuna mit Stab und Buch (Rankendetail), Frankreich, um 1440-50, The J. Paul Getty Museum | Aus dem Codex Bodmer: Initiale mit Selbstportrait des Illustrators Rufillus (Detail), Weissenau (Konstanz), zwischen 1170-1200, Sammlung Martin Bodmer | Meister des Kopenhagener Caesar (Rankendetail), flämisch, um 1480 – 1483, The J. Paul Getty Museum | Sog. Bamberger Schreiberbild (Details), aus dem Codex Msc.Patr.5, Bamberg, Mitte 12. Jh., Staatsbibliothek Bamberg, Foto: Gerald Raab | Seite aus einer französischen Handschrift (Detail), Paris, um 1405, The J. Paul Getty Museum | Aus einer Klosterbibel (Detail), Italien, um1250-1262, ebd.

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