Der Langweile zweiter Teil

Still? – Leben!

Toter FroschLetzte Woche haben wir uns ja mit der spannenden Geschichte langweiliger Stillleben beschäftigt und ich habe versprochen, noch etwas über die weniger appetitlichen Details – Totenschädel, vergammeltes Essen, totes Getier – zu sagen.

Auf uns wirkt die Kunst des Barock oft erschlagend, dekadent, „zu viel“. Wir verbinden mit dem Begriff Üppigkeit, Prunk, Rubensfrauen und Kirchenräume, die übervoll ausgestattet sind mit Stuck, Gold und Deckengemälden. Wer würde denken, dass gerade in dieser Epoche (ca. 1575-1770) eine starke Auseinandersetzung mit den Themen Tod und Sterben stattfand?

Zwischenstopp: Fegefeuer

Mal oben mal unten
Mal oben, mal unten. In der mittelalterlichen Vorstellung bestimmte allein Gott über das Schicksal des Einzelnen.

Tatsächlich war die Beschäftigung damit nichts Neues, doch der Blick darauf hatte sich verändert. Der Mensch im Mittelalter hatte kein besonders großes Problem damit, dass sein Leben irgendwann endete. Alles, was geschah, war von Gott bestimmt, und deshalb gut so. Statt der Suche nach individuellem Glück und selbstbestimmter Lebensgestaltung stand gottgefälliges Handeln im Vordergrund. Dazu gehörten Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit, das Geben von Almosen und Spenden, regelmäßiges Beichten, Erhalten der Sakramente etc. Sie verbesserten nicht unbedingt den Sitzplatz am Tische Gottes, sondern waren wichtig für das „Zwischenspiel“ zwischen Erde und Paradies: dem Fegefeuer.

FegefeuerDas man in diesem landen würde, war klar. Der Mensch war von Natur aus ein Sünder und musste – wie bei Metall, das man schmilzt, um Unreinheiten heraus zu brennen – davon befreit werden, bevor er vor seinen Schöpfer treten konnte. Wie lange man darin saß, konnte man nicht so genau wissen. Aber wenn man für wenig Geld oder einige Gebete schon einen Ablass bekam, der einem 10.000 Jahre darin erließ, konnte man sich denken, dass man sehr sehr lange Zeit in den Flammen verbringen würde, bis man dann endlich ins Paradies durfte. Das irdische Leben war im Vergleich dazu also nur ein kurzes Vorspiel.


Alles, jetzt, hier

Diese Vorstellung änderte sich im Laufe der Zeit. Die Renaissance (sehr grob von ca. 1400-1550) gilt gemeinhin als die Zeit, in der das Individuum „entdeckt“ wurde – sprich: der Mensch sah sich nicht mehr als kleiner Teil eines großen Ganzen, welches über sein Schicksal bestimmte, er sah sich als Einzelner, der sein Geschick selbst in die Hand nehmen konnte und/oder musste. Aus dieser Einstellung heraus entwickelte sich auch ein neues Verständnis von Leben und Tod: Der Fokus des Lebens lag nun nicht mehr auf dem Danach, sondern auf dem Jetzt. Man wollte bereits in ihm Erfüllung finden. Interessanterweise verdrängte man aber den Tod, der dieser Lebensgier ein Ende bereitete, nicht, sondern hielt ihn sich stets vor Augen – als Mahnung und Ansporn, nicht einen Tag darauf zu verschwenden, das Leben nicht zu genießen. „Memento mori – Bedenke, dass Du sterblich bist“ ist DER Leitsatz des Barock.

Den Tod vor stets Augen. Sog. Tödlein waren im Barock beliebt.

So ergeben nun auch die oben genannten Utensilien auf den Stillleben einen Sinn. Bei Schädeln und Uhren sind die Hinweise auf Tod und Ablauf der Lebenszeit ja recht deutlich. Doch auch auf Bildern mit üppigen Blumenbouquets und mit voll gedeckten Tafeln finden sich immer Hinweise auf die Vergänglichkeit alles Irdischen: Die welkende Blüte, der tote Käfer, die faulende Traube, die Fliege auf dem Fleisch usw.

Heimlich christlich und subtil sexy

Darüber hinaus gibt es in den Stillleben noch mehr an Symbolik zu entdecken. Religiosität spielte – Reformation hin oder her – weiterhin eine große Rolle im Leben des Einzelnen. Und so finden sich auch zahlreiche Hinweise auf christliche Glaubenssätze in den Bildern. Das ist überdeutlich bei der Wiedergabe von Brot, Wein(gläsern) und Fisch. Subtiler wird es beispielsweise beim Schmetterling, der nach einer todesartigen Zeit der Verpuppung schön und kraftvoll dem Leben entgegenflattert (also sozusagen aufersteht). Wem das zu christlich ist, für den halten die Stillleben nicht nur kulinarische, sondern auch verborgene erotische Genüsse bereit: das rote Fleisch eines aufgeplatzten Granatapfels, die als potenzsteigernd geltenden Austern, Feigen – im sinnesfreudigen Barock durfte die Fleischeslust nicht fehlen!

Fazit

Stillleben sind bei weitem nicht so langweilig, wie man im ersten Moment meinen könnte. Nicht nur ist der historische Hintergrund, aus dem heraus sie entstanden sind, spannend; man kann sich auch wunderbar die Zeit damit vertreiben, die verschiedensten Anspielungen, Hinweise, Symbole auszumachen.

Mit dem Für und Wider von Symbolen werden wir uns demnächst nochmal beschäftigen. Im nächsten Blog am 14. März geht es aber erstmal um ein altes, hochaktuelles Thema.

 

Jacob Marrel: Stillleben mit Vase, Blumen und totem Frosch (Detail), 1634, Rijksmuseum, Amsterdam | Glücksrad, aus: Giovanni Boccaccio, übersetzt von Laurent de Premierfait, ca. 1400 – 1425, Britisch Library | Meister von Hugo Jansz. van Woerden: Stundenbuch, Seelen im Fegefeuer (Detail), ca. 1490-1500, Nationalbibliothek der Niederlande | E-Bay | Abraham Mignon: Stillleben mit Früchten, Austern und Porzellanschale (Detail), 1660-79, Rijksmuseum, Amsterdam.

2 thoughts on “Der Langweile zweiter Teil

  1. Wow, wie spannend „Langeweile“ ist. Toller Beitrag – ich habe bisher im Stillleben wenig Leben wahrgenommen- ich werde jetzt genauer hinsehen!

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