Stille Gestalter
Über diesen Link kann man sich Live-Aufnahmen von Kameras anschauen, die an der Raumstation ISS befestigt sind. Ich schaue immer mal wieder rein, in erster Linie, weil es überhaupt geht und ich das ziemlich irre finde. Manchmal habe ich Glück und sehe einen spektakulären Sonnenaufgang. Die allermeiste Zeit sieht man aber Wolken Wolken Wolken in diversesten Formen und Konstellationen. Je nachdem, welches Wetter sie mit sich bringen, erscheinen sie vom Boden aus als Regen-, Gewitter-, Cirrus-, Schönwetter- und Federwolken. Sie bilden Fronten und Wände, Türme und Felder, kleiden sich mit Schleiern, Decken und Bändern. Und Bänke gibt es auch, was mir besonders gefällt, denn obwohl wir wissen, dass es nicht funktioniert, ist der Gedanke, man könne auf den flauschigen Gebilden erst herumspazieren (oder „gehen wie auf Wolken“), um sich dann auf einer solchen Bank niederzulassen, doch einfach zu schön. Und am schönsten wäre das natürlich zu zweit auf der begehrten Wolke 7.
In der Malerei haben Wolken schon die unterschiedlichsten Rollen gespielt – von stillen Statisten bis zu Hauptdarstellern. Eins haben sie dabei alle gemeinsam: wo sie sind, ist oben! Und oben ist gleich Himmel. Laut einer seit langem tradierten Vorstellung wohnt dort der liebe Gott mit allerlei anderen Wesen, und da kommt man hin, wenn man sich zu Lebzeiten gut benommen hat. Für richtig wichtige Erdenbewohner gibt es spektakuläre Himmelfahrten, wie zahllose Deckengemälde in Kirchen zeigen. Gut, dass es Wolken gibt, an und auf denen die vielen Engelchen sich festhalten, sitzen und herumturnen können. Wer als Künstler nicht den Raum für einen ganzen Himmel hatte (über das Thema Platzprobleme haben wir ja schon mal gesprochen), behalf sich mit der Minimalvariante „Wolke mit Beinen“, dazu Menschen, die nach oben schauen.
In der Zeit der Romantik (ganz spätes 18. Jh. bis 1848) hatten Wolken dann ihren ganz großen Auftritt. Überhaupt wandte man sich in dieser kurzen Epoche stark der Landschaftsdarstellung zu, denn im Abbild der Natur wollte man das menschlichen Seelenlebens veranschaulichen. Und Wolken in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen waren dafür vielfach einsetzbar.
Caspar David Friedrich (1774-1840), Maler der deutschen Romantik schlechthin, setzte Wolken ganz gezielt fürs Szenen- und Lichtdesign ein. Sein Gemälde „Küste bei Mondschein“ (1836) ist eine wahre Wucht. Man vergisst augenblicklich, wo man eigentlich ist, so sehr wird man in dieses Bild hinein gesaugt. Obwohl er im Titel genannt wird und die einzige Lichtquelle des Bildes ist, ist vom Mond kaum etwas zu sehen. Die Wolken bedecken ihn fast vollständig, sodass nur ein kleiner Fitzel von ihm mittig am oberen Bildrand herausschaut. Was wir indes von ihm sehen, ist die Reflektion seines Lichts: Hell lässt sie die Oberfläche des Meeres glänzen, dass ruhig und glatt daliegt. Am Horizont, der das Bild in fast zwei gleich große Hälften teilt, trennt sie in einem leuchtenden Streifen diese optische Stille von der Wolkendecke darüber, die durch zahllose Helligkeitsstufen dramatisch bewegt wird.
Auf einem seiner wohl berühmtesten Gemälde „Mönch am Meer“ (1808-10) macht CDF die Wolken vollständig zu den Hauptdarstellern des Gemäldes, indem er ihnen fast die komplette Bildfläche überlässt. Das titelgebende Mönchlein, das wie ein kleines schwarzes Semikolon mit hellem Punkt/Haar am Strand steht, lässt das Wolkenschauspiel am Himmel nur noch imposanter erscheinen.
Vielleicht liegt es am dortigen Wetter, aber die englischen Maler scheinen eine besondere Affinität zu Wolken gehabt zu haben. Einer von ihnen war der Engländer John Constable (1776-1837). Er hat zahlreiche Wolkenstudien angefertigt. Regenwolken, Sturmwolken, Schönwetterwolken – einen ganzen Wolkenatlas. Für ihn waren diese Bilder viel mehr als Wanddekoration, sie waren Wissenschaft. Zwei ganze Sommer (1821 und 22) verbrachte er damit, Wolken genauestens zu beobachten und aufs Papier zu bringen, um mehr über ihre Natur zu erfahren. Was unter ihnen, auf der Erde geschah, war als Bildmotiv für Constable dabei uninteressant.
Noch konsequenter als CD Friedrich löste William Turner (1775-1851) die Grenzen zwischen Himmel und Erde, Meeresgischt und Wolken auf. Wenn man´s nicht besser wüsste, könnte man ihn leicht für einen abstrakten Maler des 20. Jahrhunderts halten, weil viele seiner Bilder kaum noch Gegenständliches enthalten.
Schauen wir mal, was uns die Wolken in der nächsten Zeit vom Himmel hoch so zu uns bringen. Schneeflöckchen, Weißröckchen, vielleicht.
Euch allen eine schöne, entspannte Weihnachtszeit und einen guten Jahreswechsel. Bis 2019!
Esther von Gestatten – Kunst!
John Constable: Wolken (Detail), 1822, National Gallery of Victoria, Melbourne | Antonio da Correggio: Himmelfahrt Mariens (Kathedrale von Parma, Detail), 1526 bis 1530, Foto: Livioandronico2013/Wikipedia | Auferstehung Christi (Detail, aus einem Regensburger Manuskript, um 1400, Getty Museum | John Constable: Wolkenstudie in Hampstead Heath, 1821, Metropolitan Museum of Art, NY | Caspar David Friedrich: Küste bei Mondschein, 1836, Hamburger Kunsthalle | ders.: Mönch am Meer, 1808-10, (c) Alte Nationalgalerie Berlin, CC-BY-NC-ND 3.0 (Unported) | Wiliam Turner: Sonnenaufgang mit Seemonster, (c) Tate, CC-BY-NC-ND 3.0 (Unported) | ders.: Stürmische See mit brennendem Wrack, 1835-40, (c) Tate, CC-BY-NC-ND 3.0 (Unported)
Liebe Esther, gerade durch deinen neuesten Blog (Museale Albträume) mal wieder auf deiner Seite und weiter gestöbert. Und hier entdeckt im Dezember, den Link von der ISS – aah, hier hatte ich den her ;) yep immer wieder krass, was es so alles gibt und schau mir die Wolken von oben öfter an. Desweiteren: einfach mal einen herzlichen Dank für deine vielen vielen Texte. Immer sehr interessant für mich und ich mag deinen Stil und Humor, wie du über Kunst zu berichten weißt. Viele Grüße aus Berlin, Simone Gliffe :)
Das geht runter wie Öl! Vielen Dank, liebe Simone!