Gestatten – Laaaangweilig!

STILL! …LEBEN?

Gibt es in der Kunst etwas Langweiligeres als Stillleben? Wenn jemand Spaß daran hat, Blumen, Gefäße und Obst auf einen Tisch zu stellen und abzumalen, bitte. Aber wieso existiert eine unüberschaubar große Zahl solcher Bilder, und wieso werden diese Langeweiler auch noch in Museen gezeigt? Wenn es dann die Barock-Abteilung des Hauses ist, die man gerade durchwandert, wird es noch unfassbarer: da hängt dann das gefühlt gleiche Bild mehrfach herum.

Stillleben 2

Nur liegt die geschälte Zitrone einmal links, einmal mittig, oft gibt es Brot und Fisch, manchmal Pastete, auf jeden Fall aber ist irgendwo ein umgefallener Silberpokal und ein gefüllter Römer zu sehen. Es ist ungefähr so wie bei diesen Zeitungsrätseln, wo man zehn Unterschiede zwischen zwei scheinbar identischen Zeichnungen finden soll. Ok, ich muss der Vollständigkeit halber sagen, dass es auch Stillleben mit frischgeschossenem Wild, Totenschädeln und verfaulendem Essen gibt. Vermutlich heißen sie deswegen „Still-“, weil darauf nichts ist, was ein Geräusch macht. Aber wieso „-leben“?!

Wenn Ihr jetzt trotzdem noch weiterlest, gratuliere ich Euch! Es zeigt, dass Ihr Euch nicht davon abschrecken lasst, wenn Kunst nicht sofort interessant und selbsterklärend daherkommt. Ich bin stolz auf Euch 😊

Ein Produkt wenig stiller Zeiten

Stillleben gab es bereits in der Antike, und sie tauchten in der Kunst immer wieder auf, blieben aber Randerscheinungen, bis sie im 17. Jahrhundert ihren Durchbruch als eigene Bildgattung hatten. So wenig spannend sie selbst auf den ersten Blick erscheinen, so spannend sind die historischen Hintergründe, aus denen heraus sie erfolgreich wurden. Im Jahrhundert zuvor nämlich war ein Ereignis über Europa gekommen, dass die Gesellschaft grundlegend verändern sollte: die Reformation. Neben der (nun) katholischen Kirche, die an Macht und Einfluss verlor, entstand der Protestantismus, der sich über die nächsten Jahrzehnte in vielen Ländern Europas durchsetzte. So auch in den nördlichen Provinzen der Niederlande, die nach langem Kampf (1568-1648) von den spanisch-niederländischen Teilen unabhängig wurden.

Zunächst schien die neue Version des Christentums ein Unglück für die Maler zu sein: ganz im Kontrast zur „großen Schwester“ wurden evangelische Kirchen nicht mehr mit teurem Gerät und Bildwerken ausgestattet. Prunk und Protestantismus passten nicht zusammen. Für die Künstler, vor allem die Maler, fiel damit der wichtigste Wirtschaftszweig weg. Doch war es andererseits so, dass mit der Schwächung von Kirche und Adel eine neue gesellschaftliche Gruppe erstarkte: das Bürgertum. Dieses profitierte von den Umbrüchen, gewann an Einfluss und durch den ungeheuren Aufschwung des Handels auch an Finanzkraft. Vor allem in den Hafenstädten schien der Reichtum der Bevölkerung keine Grenzen zu kennen. Diese als „Goldenes Zeitalter“ der Niederlande in die Geschichte eingegangene Epoche wirkte sich auch auf die Kunstproduktion aus. Viele Menschen hatten genug Geld, um es in schöne Dinge zu investieren. Und die Maler wussten, diesen Wunsch zu bedienen.

Fast fassbar echt

Das Stillleben erfüllte für Künstler wie Käufer gleich mehrere Zwecke: Neben seinem dekorativen Charakter spiegelte es mit seinem wertvollen Tafelsilber, dem heiß begehrten Porzellan, den teuren Lebensmitteln (Zitronen und Salz waren damals geradezu unerschwinglich) und den exotischen Kabinettstückchen wie dem Nautiluspokal den Reichtum desjenigen wider, der mit dem Bild sein Speisezimmer schmückte. – Oder den Reichtum, den er sich wünschte.

Die Maler wiederum mussten sich nicht von einem Auftraggeber in Dinge wie Bildinhalt und -aufbau hineinreden lassen. Sie konnten malen wie sie wollten – ein Käufer würde sich schon finden. Vor allem aber konnten sie sich ganz der Herausforderung einer möglichst naturnahen Wiedergabe widmen, DER Paradedisziplin niederländischer Malerei! Das perlmutterne Schimmern geöffneter Austern, das Glänzen von Fischschuppen, die verschiedenen Lichtreflexe auf unterschiedlichen Materialien, die pastellene bis leuchtende Farbigkeit von Früchten, auch der feine Flaum von Schimmel auf Brot – das alles konnten sie genauestens untersuchen und ihr herausragendes Können unter Beweis stellen.

Stillleben Details 3

Jedoch: Bei aller Meisterhaftigkeit und Dekoration, nicht umsonst tauchen in den Bildern auch immer wieder Taschenuhren, tote Käfer, welke Blüten und Totenschädel auf. Was sie in Stillleben zu suchen hatten und was sie über die Lebenseinstellung jener barocken Zeit verraten, erfahrt Ihr im nächsten Blog (3. März).


 

 

 

Pieter Claesz: Stillleben mit Fisch, 1647, Rijksmuseum Amsterdam | Willem Claezs Heda: Stillleben mit Bierkrug, 1634, s.O. | ders.: Stillleben mit Römer und Silbertazza, 1630, s.O. | ders.: Stilleben mit Römer und Uhr, 1629. Mauritushuis, Den Haag | ders.: Stillleben mit Salzfässchen, ca. 1640-45, Rijksmuseum Amsterdam | ders.: Stilleben, 1637, Nationalgalerie Finnland, Helsinki | Snijders, Frans: Stilleben mit Reh, Kopf eines Wildschweins, Blumen und Früchten, 1.H. 17. Jh., Rijksmuseum Amsterdam | Pieter Potter: Vanitas Stilleben (Detail), 1646, s.O. | Kalf, Wilhelm: Stilleben mit Früchten (Det.), 1659, Metropolitan Museum, New York | ders.: Stilleben mit chin. Porzellanschüssel (Det.), 1662, Nationalgalerie Dänemark, Kopenhagen | Frans Sant-Acker: Stilleben mit Nautiluspokal (Det.), 1648-88, Rijksmuseum Amsterdam | ALLE BILDER GEMEINFREI

2 thoughts on “Gestatten – Laaaangweilig!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert